Nagaya Magazin 3/2020
Mit Liebe aufgezogen
Verschwindet der Wald, verschwindet auch das Leben. In Äthiopien bedroht Bodenerosion Mensch und Umwelt. Durch den Einsatz vieler engagierter Menschen wird ihr Einhalt geboten und neues Leben erblüht.
In Guto Andode herrscht große Aufregung. Knapp ein Dutzend Männer hat sich um Menschen für Menschen-Mitarbeiter Abayneh Aleme versammelt. „Der Erosionsgraben ist während der letzten Regenzeit um 40 Meter gewachsen“, erklärt Abayneh den Unmut der Anwesenden. „13 Familien sind schon davon betroffen, ihnen brechen im wahrsten Sinne die Felder weg.“ Abayneh ist in den Projektregionen Abune Ginde Beret und Ginde Beret für die landwirtschaftlichen Projekte verantwortlich und erklärt den Männern, wie sie den Erosionsgraben in Schach halten können. „Das Land sollte nicht mehr als Grasland für die Tiere verwendet werden. Das heißt, es muss eingezäunt werden, erst dann ist es sinnvoll hier Steinkörbe einzusetzen, die das Erdreich auffangen und Sträucher und Bäume zu pflanzen.“
Samuel ist als Vorarbeiter in einer Baumschule von Menschen für Menschen tätig. „Die Setzlinge wachsen zu sehen, ist wie Kinder beim Wachsen zu beobachten“, beschreibt er die Freude an seiner Arbeit.
Aufklärung zur Einzäunung
Der erste wichtige Schritt einer jeden Maßnahme ist es, die Gemeinschaft mit an Bord zu wissen. In Guto Andode hat das zunächst Überzeugungsarbeit und Aufklärung gekostet. Denn Grasland ist wichtig und durch die Einzäunung fällt auf den ersten Blick zunächst eine wichtige Fläche weg. Langfristig gesehen erholt sich das Land freilich, aber das mussten die Männer aus Guto Andode erst mit eigenen Augen sehen. Deshalb organisierte Abayneh die Besichtigung eines geschlossenen Erosionsgrabens in einer Nachbargemeinde. „Wir haben uns den Graben in Godo Dada angesehen und erkannt, wie effektiv der Schutz ist. Dort wurden schon Bäume gepflanzt und Steinkörbe eingesetzt, damit der Graben nicht weiterwächst“, berichtet Tesfaye vom Aufklärungsbesuch. „Die Familien können dort sogar schon Gras abernten, das sie als Viehfutter nutzen.“
März 2019: Die Anrainer von Guto Andode waren verzweifelt: Der riesige Erosionsgraben wuchs immer weiter und bedrohte ihre Felder.
Felder verschwinden
Tesfayes Familie ist besonders stark vom Erosionsgraben in Guto Andode betroffen: „Ich habe sowieso nur ein kleines Stück Land zur Verfügung. Gerade mal einen Hektar. Jetzt ist nur noch ein winziges Stück davon übrig und ich muss ein Feld pachten, um irgendwie über die Runden zu kommen.“ Bei dieser Art der Verpachtung muss Tesfaye die Hälfte der Ernte an den Grundbesitzer abgeben, ein gängiges System im ländlichen Äthiopien, wo fruchtbares Land immer knapper wird.
Jänner 2020: Gemeinsam mit Menschen für Menschen wurde der Graben eingezäunt, wurden Steinkörbe eingesetzt und erste Setzlinge gepflanzt. Nach acht Monaten zeigen sich schon erste Erfolge.
Verlorenes Land
In der rund zehn Stunden Autofahrt entfernten Region Derra kann auch Abu ein Klagelied davon singen, wie stark degradiertes Land sein Leben und das seiner Gemeinde beeinträchtigt hat. „Du siehst doch die rote Erde – so hat es hier früher überall ausgesehen!“ Abu redet sich richtig in Rage, während er durch den geschlossenen Graben in der Gemeinde Kuyu führt. „Das Land war doch sowieso schon unbrauchbar, kein Tier hätte hier noch grasen können“, macht er seinem Unverständnis Luft, wie manche gegen die Einzäunung argumentieren. In Kuyu wurde der Erosionsgraben vor zwölf Jahren geschlossen, die Projektregion Derra vor knapp zehn Jahren abgeschlossen. Über die Jahre hat sich der Graben durch den Einsatz von Gabionen – mit Steinen gefüllten Drahtkörben – wieder mit Erde gefüllt und es sind natürliche Brücken entstanden, über die man durch die neu entstandene Vegetation gehen kann, um das Ausmaß der einstigen Bedrohung zu erkennen. „Gut fünf Hektar waren schon betroffen, als wir Menschen für Menschen um Hilfe baten“, erinnert sich Abu. „Wir haben dann gemeinsam das Gebiet eingezäunt, Steinkörbe befüllt und Setzlinge gepflanzt – zum Beispiel Silbereichen und Sisal Agaven. Heute blicken wir auf einen schönen Wald und das Klima hat sich verändert.“
Baumschulen für die Zukunft
Die Pflänzchen für die Aufforstung stammen aus Baumschulen, die Menschen für Menschen in jeder Projektregion einrichtet. In Derra waren es insgesamt 78. Von dort aus haben in 13 Jahren Projektarbeit rund 20 Millionen Setzlinge ihren Weg in Aufforstungsgebiete, auf Felder oder in Gärten gefunden. Baumschulen werden im Laufe der Projektarbeit an die Bevölkerung oder örtlichen Gemeinden übergeben und weitergeführt, so wie die Baumschule in Cheka, wo auch heute noch Bäumchen für die Aufforstung in der Region aufgezogen werden. Dass die Projekte weitergeführt werden, ist das erklärte Ziel der Arbeit von Menschen für Menschen – die Bevölkerung sollte nach Abschluss der Arbeit unabhängig von fremder Hilfe auf dem geschaffenen Fundament aufbauen können. Ein Ziel, das in Derra erreicht wurde, wie auch eine externe Evaluierung fünf Jahre nach Abschluss der Arbeit bestätigte. Die Untersuchung, die vom NPO & SE Kompetenzzentrum der WU Wien in Zusammenarbeit mit der Beratungsorganisation FAKT durchgeführt wurde, zeigt im Detail, dass „die Maßnahmen von Menschen für Menschen dazu beigetragen haben, positive und anhaltende Entwicklungen anzustoßen, die auch fünf Jahre nach Abschluss fortbestehen und sich weiterentwickeln.“
Das Feld rund um einen alten großen Baum hat Mamo in einen Wald verwandelt, für dessen frisches Klima die NachbarInnen schon mal einen Umweg einlegen.
Mit gutem Beispiel voran
Diesem guten Zeugnis will man auch in Abune Ginde Beret gerecht werden. Projektleiter Berhanu Bedassa war zuvor in Derra tätig und weiß, wie wichtig es ist die Gemeinschaft von Beginn an bei allen Projekten miteinzubinden, um langfristige Erfolge zu erzielen. 672 Baumschulen hat Menschen für Menschen seit 1981 bereits eingerichtet, 77 davon in Abune Ginde Beret, wo Berhanu und seine MitarbeiterInnen seit 2012 gemeinsam mit der Bevölkerung verschiedene Maßnahmen umsetzen. Viele Familien haben sich seither schon eine gute Grundlage aufbauen können und gehen als gute Beispiele für ihre Nachbarinnen und Nachbarn voran. So auch Bauer Mamo, den man mittlerweile schon als Förster bezeichnen kann. „Früher habe ich auf diesem Feld nur Getreide und Bohnen angebaut“, erzählt der hochgewachsene Mann während wir durch einen kleinen Wald streifen. „Jetzt machen die Nachbarn sogar Umwege, um hier durchgehen zu können“, lacht Mamo, „es ist so erfrischend, fast wie ein Schwimmbecken.“
Paradiesischer Sortenreichtum
Inmitten des kleinen Wäldchens, das Mamo in nur acht Jahren aufgezogen hat, tut sich eine kleine Lichtung auf, wo ein stattlicher Baum vor vielen Jahren seine Wurzeln geschlagen hat. „Hier möchte ich gerne einen kleinen Rastplatz einrichten“, meint der ebenso stattliche Mamo und wir können es uns bildlich vorstellen: Hier im Schatten des Waldes entspannen, vielleicht einen frisch gebrühten Kaffee genießen, aus Bohnen die Mamo selbst geerntet hat, dazu eine saftige Mango oder einen Apfel aus seinem Garten: Ja, das klingt tatsächlich nach paradiesischen Zuständen. Die Grundlage für den Sortenreichtum auf Mamos Feldern findet sich in den Baumschulen wieder, wo nicht nur Bäume und Sträucher zur Aufforstung gezogen werden, sondern auch Obstbäume und Kaffeesetzlinge.
Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten erntet Bauer Mamo jetzt reichlich.
600.000 Setzlinge von Hand gezogen
Nicht weit von Mamos Waldbad entfernt treffen wir in der Baumschule von Kare Bite auf Samuel, der dort als Vorarbeiter alle Geschicke leitet. „Früher habe ich in der Baumschule von Laga Banda gearbeitet. Die wurde aber schon in die Verantwortung der örtlichen Kirchengemeinschaft übergeben“, zeugt auch Samuel vom Prinzip von Menschen für Menschen, Projekte Schritt für Schritt in die Hände der Gemeinschaft abzugeben. „Wir ziehen hier etwa 600.000 Setzlinge pro Jahr auf, von über zehn verschiedenen Baumarten“, erläutert Samuel, während er uns ein großes schweres Buch reicht, in dem er all das genauestens dokumentiert. „Welche Setzlinge wann ausgesät werden, richtet sich nach dem Aussaatkalender. Der Olivenbaum wird zum Beispiel während der Regenzeit ausgesät.“
Wachsen wie die Kinder
Seit fünf Jahren ist Samuel bei Menschen für Menschen tätig und die Begeisterung für seine Arbeit ist richtiggehend ansteckend. „Ich habe davor die weiterführende Schule in der Nachbarregion Ginde Beret besucht. Die Arbeit hier in der Baumschule und mit den Pflanzen gefällt mir sehr gut. Ich kümmere mich darum, dass alles zur richtigen Zeit vorbereitet ist, also der Kompost und die Erde für die Aussaat bereitstehen, und dass auch genügend Arbeiterinnen und Arbeiter hier sind. Sie kommen alle wie ich aus der Region und werden nach Bedarf eingestellt.“ Während Samuel einen Setzling seines Lieblingsbaums, dem Birbisa*, vorsichtig in seinen Händen hält, gibt er uns noch einen besonders schönen Grund für seine Motivation: „Die Setzlinge wachsen zu sehen, ist wie Kinder beim Wachsen zu beobachten.“