40 Jahre Menschen für Menschen
Romy Seidl-Laux
Das schönste Abschiedsgeschenk
Zeit: 14. Februar 2014, Valentinstag. Ort: Hans Weigel-Straße 4 in Grödig. Ich sehe Karlheinz Böhm ein letztes Mal. In seinem Hause nahe der Landeshauptstadt Salzburg. Dort, wo er mit seiner Frau Almaz und den Kindern Nicolas und Aida seit 20 Jahren lebt. Wenn er nicht gerade in Äthiopien unterwegs ist. In seinem Äthiopien, das zu seiner Heimat geworden ist. Grödig gilt für ihn lediglich als zweites Zuhause. Karl strahlt mich an, wie einstmals. Schon lange habe ich ihn nicht mehr gesehen. „Er mag dich einfach sehr“, sagt Almaz. Mein Herz klopft, ich bin sehr dankbar, dass ich Karl noch einmal erleben darf.
Meine Gedanken schweifen zurück, weit zurück, bis zum allerersten Zusammentreffen mit dem großen Karlheinz Böhm, der auch mein Leben mitgeprägt hat. Damals an der Schule, im Wirtschaftskundlichen Realgymnasium in Salzburg. Fast 30 Jahre ist das her. Ich wusste von diesem Mann, dass er sein Leben radikal geändert hatte, nachdem er mit offenen Augen und wachen Sinnen zum ersten Mal das Land Äthiopien betreten hatte. Er war ab sofort nicht mehr nur der überragende Schauspieler, der prominente Dirigenten-Sohn, der populäre Film-Kaiser und Vater mehrerer Kinder. Er war der Mann, der Afrika liebte, die Menschen dort, mit denen er alles teilen wollte. Er war der Mann, der uns Schülerinnen im Mädchengymnasium mit großer Überzeugungskraft erklärte, dass es eine dritte Welt gar nicht gebe, sondern nur eine Welt für uns alle. Dieser Spruch, sein Credo, ist auf seinem Ehrengrab auf dem Salzburger Kommunalfriedhof in Stein gemeißelt.
Wieder blicke ich auf Karl in seinem Krankenbett. Wie schön er nach wie vor ist, selbst liegend wirkt er so, wie er immer war. Stattlich, klar, attraktiv mit seinem schönen grauen Haar. Ich halte seine Hand, nein, er hält meine Hand, und er hält sie fest. Die Kraft in ihm ist geblieben, bis in seine letzten Lebensmonate. Die Atmosphäre ist ruhig und angenehm, irgendwie entspannt und entspannend gleichermaßen. Ich schweife gedanklich zurück. Äthiopien, Karls zweite große Liebe neben seiner Familie. Ich denke daran, dass ich 1991 zum ersten Mal mit ihm in Äthiopien unterwegs bin, besser: mit ihm unterwegs sein darf. Mit Mister Karl. So rufen ihn die Menschen hier. Beeindruckende, faszinierende und berührende Momente zugleich, auch erschreckende, aber immer wieder diese beruhigende Gewissheit, dass es „Menschen für Menschen“ gibt. Seit bereits zehn Jahren damals.
Man muss sich das einmal vorstellen, mit Karl durch sein Äthiopien zu fahren, von Projektgebiet zu Projektgebiet. Auf holprigen Straßen, wenn es überhaupt Straßen sind. Bei jeder Gesteinskerbe, bei jedem Schlagloch steht er vom Fahrersitz auf und lenkt so den Geländewagen, mit dem wir vorankämpfen. Er wolle seine Bandscheiben nicht noch mehr strapazieren, sagt er. Um die Anstrengung, die es bedeutet, diese Tagesstrecken im ständigen Wechsel von Stehen und Sitzen zurückzulegen und nebenbei auch noch viel zu reden über die Schönheit und Armut seines Landes, um diese enorme Anstrengung will er nicht viel Aufhebens machen.
Zugleich blitzen seine Augen voller Leidenschaft für die Menschen. Er braucht die verschiedenen Sprachen und Dialekte nicht zu verstehen und muss sie auch nicht sprechen. Es gibt eine Sprache, die alle verstehen: die Körpersprache der Empathie. Davon ist er zutiefst überzeugt. Der allerschönste Ausdruck dieser Körpersprache ist die Umarmung. Und wieder umarmt er einen alten Mann bei einem der unzähligen Zwischenstopps. Dies sage doch alles aus, meint Karl. Es gehe darum, Zuneigung zu zeigen, mehr brauche es nicht, um zu kommunizieren, das gehe auch mit Händen und Füßen. Jeder seiner Kommunikationsversuche glückt. So, wie er es macht, funktioniert es einfach. Er kennt keine Distanz, keine Berührungsängste vor Krankheit, Schmutz und Schweiß. Wie sollte jemand Berührungsängste haben, der diese Menschen liebt.
Wieder blicke ich auf ihn, in seinem Bett. Almaz ist rund um die Uhr an seiner Seite. Immer wieder gibt es Augenblicke, in denen es zu sehen und zu spüren ist, dass er sich freut. Es ist so schön, dies noch miterleben zu dürfen. Aida gibt ihm ein paar Bissen ihres Geburtstagskuchens, er schmeckt ihm sichtlich. Da fällt mir ein, wie mich Karl einst im äthiopischen Hochland von Merhabete – ja – gefüttert hat. Menschen, die einem nahestehen, gibt man dort ein Stück Fladen direkt in den Mund. Besteck braucht man ja nicht. Auf diese Weise wird Freundschaft oder Zuneigung ausgedrückt. Eine wunderschöne Tradition.
Dieser starke, kräftige Mann, der nie zu altern schien und stets um Jahrzehnte jünger wirkte als er war, diesen Mann verlassen nach und nach die Energien und die Lebensgeister. Dieser Mann brachte mir als Schülerin und später als Studentin und Journalistin seine Welt nahe, er öffnete mir die Augen für so vieles, was ich ohne ihn wohl nie gesehen und im innersten Zusammenhang verstanden hätte. Nicht nur in Afrika, sondern auch zu Hause in Österreich. Man dürfe niemals schweigen, das hat mich Karl gelehrt, das war sein Antrieb.
Eine Entscheidung hat sich bei mir sehr eingeprägt, die Karlheinz Böhm 1969 getroffen hat, vor meiner Geburt. Er hat sie uns einmal bei einem äthiopischen Weihnachtsfest in Grödig erzählt, an einem 6. Jänner im neuen Jahrtausend, ehe er am Tag danach wieder nach Afrika aufbrach. Karlheinz Böhm wollte für den damaligen Bundesparteivorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei, Bruno Kreisky, in den Nationalrats-Wahlkampf ziehen und hat dies auch öffentlich kundgetan. Er sagte ihm, dass er ihn großartig finde und für ihn wahlkämpfen möchte. Die Antwort Kreiskys: „Wissen Sie, Böhm, das ist gut, dass Sie mir das anbieten. Aber ich sage Ihnen, bleiben Sie draußen, da helfen Sie uns mehr!“ Karl meinte zu uns, er hätte damals in seiner Begeisterung für Bruno Kreisky nicht weiter nachgedacht und sei dem großen Mann dankbar für sein umsichtiges und weitsichtiges Vorgehen. Zwei große Männer hatten sich da gefunden. Karl verehrte den ehemaligen Bundeskanzler bis zuletzt.
So muss ich es sagen: Karlheinz Böhm und auch seine Frau Almaz haben mich geprägt und auch stets gemahnt und ermutigt, offen zu werden, liberal zu denken und stets, wie wichtig, eine gute Zuhörerin zu sein. Ja, dieser 14. Februar 2014, Valentinstag. Ich fühle, ich sehe ihn jetzt zum letzten Mal. Trotzdem wird es Zeit, mich von Karl zu verabschieden, noch einmal vor ihm ein Danke zu denken und dieses Danke leise über meine Lippen huschen zu lassen. Und ihm links, rechts und nochmals links, genauso also, wie man das in Äthiopien macht, vorsichtig und sanft meine Küsschen auf seine Wangen zu drücken. Und dann ist da plötzlich sein Abschiedsgeschenk. Ein Lächeln und das berühmte Blitzen seiner Augen. Das schönste Abschiedsgeschenk, das er mir da gerade gibt.
Danke Karl!
Meine Gedanken schweifen zurück, weit zurück, bis zum allerersten Zusammentreffen mit dem großen Karlheinz Böhm, der auch mein Leben mitgeprägt hat. Damals an der Schule, im Wirtschaftskundlichen Realgymnasium in Salzburg. Fast 30 Jahre ist das her. Ich wusste von diesem Mann, dass er sein Leben radikal geändert hatte, nachdem er mit offenen Augen und wachen Sinnen zum ersten Mal das Land Äthiopien betreten hatte. Er war ab sofort nicht mehr nur der überragende Schauspieler, der prominente Dirigenten-Sohn, der populäre Film-Kaiser und Vater mehrerer Kinder. Er war der Mann, der Afrika liebte, die Menschen dort, mit denen er alles teilen wollte. Er war der Mann, der uns Schülerinnen im Mädchengymnasium mit großer Überzeugungskraft erklärte, dass es eine dritte Welt gar nicht gebe, sondern nur eine Welt für uns alle. Dieser Spruch, sein Credo, ist auf seinem Ehrengrab auf dem Salzburger Kommunalfriedhof in Stein gemeißelt.
Wieder blicke ich auf Karl in seinem Krankenbett. Wie schön er nach wie vor ist, selbst liegend wirkt er so, wie er immer war. Stattlich, klar, attraktiv mit seinem schönen grauen Haar. Ich halte seine Hand, nein, er hält meine Hand, und er hält sie fest. Die Kraft in ihm ist geblieben, bis in seine letzten Lebensmonate. Die Atmosphäre ist ruhig und angenehm, irgendwie entspannt und entspannend gleichermaßen. Ich schweife gedanklich zurück. Äthiopien, Karls zweite große Liebe neben seiner Familie. Ich denke daran, dass ich 1991 zum ersten Mal mit ihm in Äthiopien unterwegs bin, besser: mit ihm unterwegs sein darf. Mit Mister Karl. So rufen ihn die Menschen hier. Beeindruckende, faszinierende und berührende Momente zugleich, auch erschreckende, aber immer wieder diese beruhigende Gewissheit, dass es „Menschen für Menschen“ gibt. Seit bereits zehn Jahren damals.
Man muss sich das einmal vorstellen, mit Karl durch sein Äthiopien zu fahren, von Projektgebiet zu Projektgebiet. Auf holprigen Straßen, wenn es überhaupt Straßen sind. Bei jeder Gesteinskerbe, bei jedem Schlagloch steht er vom Fahrersitz auf und lenkt so den Geländewagen, mit dem wir vorankämpfen. Er wolle seine Bandscheiben nicht noch mehr strapazieren, sagt er. Um die Anstrengung, die es bedeutet, diese Tagesstrecken im ständigen Wechsel von Stehen und Sitzen zurückzulegen und nebenbei auch noch viel zu reden über die Schönheit und Armut seines Landes, um diese enorme Anstrengung will er nicht viel Aufhebens machen.
Zugleich blitzen seine Augen voller Leidenschaft für die Menschen. Er braucht die verschiedenen Sprachen und Dialekte nicht zu verstehen und muss sie auch nicht sprechen. Es gibt eine Sprache, die alle verstehen: die Körpersprache der Empathie. Davon ist er zutiefst überzeugt. Der allerschönste Ausdruck dieser Körpersprache ist die Umarmung. Und wieder umarmt er einen alten Mann bei einem der unzähligen Zwischenstopps. Dies sage doch alles aus, meint Karl. Es gehe darum, Zuneigung zu zeigen, mehr brauche es nicht, um zu kommunizieren, das gehe auch mit Händen und Füßen. Jeder seiner Kommunikationsversuche glückt. So, wie er es macht, funktioniert es einfach. Er kennt keine Distanz, keine Berührungsängste vor Krankheit, Schmutz und Schweiß. Wie sollte jemand Berührungsängste haben, der diese Menschen liebt.
Wieder blicke ich auf ihn, in seinem Bett. Almaz ist rund um die Uhr an seiner Seite. Immer wieder gibt es Augenblicke, in denen es zu sehen und zu spüren ist, dass er sich freut. Es ist so schön, dies noch miterleben zu dürfen. Aida gibt ihm ein paar Bissen ihres Geburtstagskuchens, er schmeckt ihm sichtlich. Da fällt mir ein, wie mich Karl einst im äthiopischen Hochland von Merhabete – ja – gefüttert hat. Menschen, die einem nahestehen, gibt man dort ein Stück Fladen direkt in den Mund. Besteck braucht man ja nicht. Auf diese Weise wird Freundschaft oder Zuneigung ausgedrückt. Eine wunderschöne Tradition.
Dieser starke, kräftige Mann, der nie zu altern schien und stets um Jahrzehnte jünger wirkte als er war, diesen Mann verlassen nach und nach die Energien und die Lebensgeister. Dieser Mann brachte mir als Schülerin und später als Studentin und Journalistin seine Welt nahe, er öffnete mir die Augen für so vieles, was ich ohne ihn wohl nie gesehen und im innersten Zusammenhang verstanden hätte. Nicht nur in Afrika, sondern auch zu Hause in Österreich. Man dürfe niemals schweigen, das hat mich Karl gelehrt, das war sein Antrieb.
Eine Entscheidung hat sich bei mir sehr eingeprägt, die Karlheinz Böhm 1969 getroffen hat, vor meiner Geburt. Er hat sie uns einmal bei einem äthiopischen Weihnachtsfest in Grödig erzählt, an einem 6. Jänner im neuen Jahrtausend, ehe er am Tag danach wieder nach Afrika aufbrach. Karlheinz Böhm wollte für den damaligen Bundesparteivorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei, Bruno Kreisky, in den Nationalrats-Wahlkampf ziehen und hat dies auch öffentlich kundgetan. Er sagte ihm, dass er ihn großartig finde und für ihn wahlkämpfen möchte. Die Antwort Kreiskys: „Wissen Sie, Böhm, das ist gut, dass Sie mir das anbieten. Aber ich sage Ihnen, bleiben Sie draußen, da helfen Sie uns mehr!“ Karl meinte zu uns, er hätte damals in seiner Begeisterung für Bruno Kreisky nicht weiter nachgedacht und sei dem großen Mann dankbar für sein umsichtiges und weitsichtiges Vorgehen. Zwei große Männer hatten sich da gefunden. Karl verehrte den ehemaligen Bundeskanzler bis zuletzt.
So muss ich es sagen: Karlheinz Böhm und auch seine Frau Almaz haben mich geprägt und auch stets gemahnt und ermutigt, offen zu werden, liberal zu denken und stets, wie wichtig, eine gute Zuhörerin zu sein. Ja, dieser 14. Februar 2014, Valentinstag. Ich fühle, ich sehe ihn jetzt zum letzten Mal. Trotzdem wird es Zeit, mich von Karl zu verabschieden, noch einmal vor ihm ein Danke zu denken und dieses Danke leise über meine Lippen huschen zu lassen. Und ihm links, rechts und nochmals links, genauso also, wie man das in Äthiopien macht, vorsichtig und sanft meine Küsschen auf seine Wangen zu drücken. Und dann ist da plötzlich sein Abschiedsgeschenk. Ein Lächeln und das berühmte Blitzen seiner Augen. Das schönste Abschiedsgeschenk, das er mir da gerade gibt.
Danke Karl!
Zur Person:
Romy Seidl-Laux ist Journalistin und Moderatorin im ORF-Landesstudio Salzburg und unter anderem mitverantwortlich für die ORF-Hilfsaktion „Licht ins Dunkel“. Seit ihrer Schulzeit engagiert sich Romy Seidl bereits für Menschen für Menschen – aktuell als stellvertretende Vorsitzende des ehrenamtlichen Aufsichtsrats.