Weltrekord-Marathonläufer Haile Gebrselassie mit Alexandra Bigl, Vorstand von Menschen für Menschen Österreich, im Gespräch.

Durch die Augen von…

Haile Gebrselassie

Der Weltrekord-Marathonläufer Haile Gebrselassie ist erfolgreicher Unternehmer und langjähriger Unterstützer von Menschen für Menschen. Seit 2012 wirkt er als Botschafter, seit 2023 als Mitglied des Stiftungsrats der deutschen Stiftung. Im Interview mit Alexandra Bigl, Vorstand von Menschen für Menschen Österreich, spricht er über Äthiopiens Entwicklung und die Rolle von NGOs. sit amet

Alexandra Bigl: Wie sind Sie erstmals mit Menschen für Menschen in Kontakt gekommen?

Haile Gebrselassie: Das ist schon viele Jahre her. Hier in Äthiopien ist Menschen für Menschen durch Karlheinz Böhm und seine Bemühungen sehr bekannt. Die beeindruckende Arbeit und die Philosophie der Organisation haben mich sofort angesprochen. Ich sage immer: Gib einem Mann keinen Fisch, sondern bring ihm bei, wie er fischt. Genau das macht Menschen für Menschen seit über 40 Jahren. Ich habe schon einige Projektregionen in sehr abgelegenen ländlichen Gegenden besucht. In Asagirt zum Beispiel sagten die Menschen etwas, das mich tief bewegt hat: „Haile, selbst Gott hatte uns vergessen. Aber jetzt ist Menschen für Menschen gekommen und hat Schulen und Kliniken gebaut.“ Diese Art von Veränderung ist einfach unglaublich.

Was hat Sie persönlich dazu motiviert, die Organisation zu unterstützen?

Nachdem ich meine Laufbahn im Leistungssport beendet und mit meinen Geschäftsaktivitäten begonnen habe, war es mein Ziel, Arbeitsplätze zu schaffen und nachhaltige Lösungen für unsere Gemeinschaft zu finden. Die Philosophie von Menschen für Menschen passt zu meinen eigenen Überzeugungen. Ein gutes Beispiel ist das ATTC (Agro-Technical and Technology College) in Harar. Diese Einrichtung ist eine Investition in die Menschen. Die Absolventen gründen später ihre eigenen Unternehmen. Das ist genau der nachhaltige Einfluss, den ich sehen möchte. Die Art und Weise, wie für die Menschen Chancen eröffnet werden, ist genau das, was Äthiopien braucht.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen für Organisationen in Äthiopien?

Äthiopien steht vor großen Herausforderungen. Zudem ist es ein Land mit weitläufigen ländlichen Regionen, die schwer zugänglich sind. Für eine Organisation ist es schlicht unmöglich, überall präsent zu sein. Eine große Herausforderung ist auch die Finanzierung. Ohne Geld kann einfach nichts umgesetzt werden.

Hat sich die Rolle von NGOs in Äthiopien in den letzten zehn Jahren verändert?

Manche sagen, NGOs hätten ihren Fokus von Lebensmittelhilfen auf andere Bereiche verlagert, weil sich Äthiopien weiterentwickelt hat. Aber ich stimme dem nicht ganz zu. Natürlich ist es das Ziel, Gemeinschaften so zu unterstützen, dass sie unabhängig werden, aber es gibt immer noch Situationen, in denen Lebensmittelhilfe nötig ist. Wir dürfen also die akuten Notlagen nicht ignorieren. Wenn Menschen hungern, wie sollen sie dann den nächsten Schritt machen?

Wie wichtig ist die Einbindung der Kommunen, um nachhaltige Veränderungen zu erreichen?

Das ist für mich der entscheidende Punkt. Ohne die Einbindung der Menschen ist nichts nachhaltig. Es reicht nicht, einfach Schulen oder Kliniken zu bauen – die Gemeinschaft muss die Verantwortung dafür übernehmen. Sie muss von Anfang an eingebunden werden und dauerhaft engagiert bleiben. Wie ich schon sagte: Gib einem Mann keinen Fisch, sondern bring ihm bei, wie er fischt. Nur so können dauerhafte Veränderungen gelingen.
Haile Gebrselassie mit Schulkindern in einem Klassenraum.
Haile Gebrselassie zu Besuch in einer Schule, die von Menschen für Menschen errichtet wurde.

Was sind die wichtigsten Faktoren für nachhaltige Entwicklung in Äthiopien?

Frieden und Sicherheit sind die Grundlage. Ohne sie ist alles andere bedeutungslos. Bildung ist ebenfalls entscheidend – nicht nur die formale Bildung, sondern auch das Wissen und die Werte der Gemeinschaft. Natürlich ist gute Regierungsführung unerlässlich, um unsere Ziele zu erreichen. Dazu sollten wir von anderen Ländern lernen, zugleich aber unsere eigenen Werte und Individualität bewahren.

Gibt es gemeinsame Werte zwischen Äthiopier:innen und Europäer:innen?

Absolut. Respekt für andere und die Gastfreundschaft sind Werte, die beide Kulturen einen. Es gibt natürlich kleine Unterschiede, aber die Art, wie Menschen miteinander umgehen, ist im Grunde gleich. Bei der Förderung und Vermittlung gemeinsamer Werte spielen Vorbilder für mich eine zentrale Rolle. Ob es ein Präsident ist oder ein Dorfältester – Menschen folgen ihrem Beispiel.

Welchen Einfluss hatten die Pandemie und anhaltende Konflikte auf die Entwicklung Äthiopiens?

Die Auswirkungen waren enorm, sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich. Konflikte haben die Wirtschaft fast zum Erliegen gebracht und die Entwicklung behindert. Um diese Probleme zu lösen, braucht es Kompromisse. Den beteiligten Parteien muss bewusst sein, dass man manchmal verlieren muss, um langfristig zu gewinnen.

Was gibt Ihnen Hoffnung für die Zukunft Äthiopiens?

Äthiopien ist ein Land mit rund 130 Millionen Einwohner:innen – eine Tatsache, die sowohl eine große Herausforderung als auch eine immense Chance darstellt. Werden die Menschen gezielt gefördert, können sie selbst zur treibenden Kraft für Fortschritt und eine bessere Zukunft werden. Als jemand, der in der Tourismusbranche tätig ist, weiß ich, wie stark Frieden und Sicherheit die Entwicklung eines Landes beeinflussen. Genau darin liegt meine Hoffnung: Bei Stabilität können sowohl der Tourismus als auch die Wirtschaft nachhaltig aufblühen.

Welche Erkenntnisse aus Ihrer Sportkarriere haben Ihre Herangehensweise als Unternehmer geprägt?

Als Sportler hing der Erfolg von meiner eigenen Leistung ab. Doch in der Wirtschaft und in der Arbeit mit der Gemeinschaft, wie sie Menschen für Menschen umsetzt, ist Teamarbeit entscheidend. Erfolg ist niemals eine Einzelleistung. Es geht darum, Systeme zu schaffen, in denen jeder Mensch seinen Beitrag leistet. Diese Einstellung hat meine Arbeit in meinen Unternehmen und meine Unterstützung für Organisationen wie Menschen für Menschen geprägt.

Welche Botschaft möchten Sie den Unterstützer:innen von Menschen für Menschen und Äthiopien mitgeben?

An alle, die Menschen für Menschen über die Jahre unterstützt haben: ein herzliches Dankeschön! Eure Hilfe hat unzählige Leben verändert. Stellt euch vor, was geschehen wäre, wenn diese Arbeit in den vergangenen 40 Jahren nicht möglich gewesen wäre – Millionen Menschen hätten keine Chance auf eine bessere Zukunft gehabt. Die Welt ist ein Dorf, und die Herausforderungen hier betreffen uns alle.

Welchen Rat würden Sie Menschen für Menschen für die Zukunft geben?

Macht weiter so. Eure Herangehensweise ist genau richtig und ein Vorbild für andere. Die Arbeit, die ihr leistet, bewirkt einen echten Unterschied und ich bin stolz, ein Teil davon zu sein.
Portrait von Haile Gebrselassie

Haile Gebrselassie

Als Marathonläufer stellte Haile Gebrselassie zahlreiche
Weltrekorde auf. In Äthiopien hat er viele erfolgreiche Unter-
nehmen in den Bereichen Hotellerie, Automobilindustrie oder
Kaffeeproduktion aufgebaut und beschäftigt rund 4.000 Mit-
arbeitende. Seit vielen Jahren unterstützt er die Arbeit von Menschen für Menschenseit 2012 als Botschafter und seit 2023 als Mitglied im Stiftungsrat der deutschen Stiftung.

Möchtest du mehr über unsere Arbeit in Äthiopien wissen? In unserem Nagaya Magazin berichten wir über die neuesten Entwicklungen unserer Projekte.

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