Bienenkooperativen mit Perspektive
Wir lassen den Honig fließen
Wie ermöglicht man jungen Menschen eine Zukunftsperspektive und schafft gleichzeitig Entwicklung in ländlichen Regionen? Eine mögliche und zugleich überraschende Antwort lautet: Mit Bienen!
In Österreich sind die Bienen und ihre Bedeutung für Umwelt und Ernährung in aller Munde. Bienen sichern unsere Ernährung; ohne ihre Bestäubung würden Obst und Gemüse rasch zu Luxusprodukten mutieren. Aber der Einsatz von Bienen zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit? Wahrscheinlich würde diese Idee bei den meisten von uns nur Kopfschütteln und ein müdes Lächeln hervorrufen. Ganz anders ist das in Äthiopien. Dort macht sich angesichts solcher Ideen Begeisterung breit und zaubert jungen Menschen ein breites Lächeln ins Gesicht. So auch bei Workene, der gerade mal 19 Jahre jung ist und die 8. Schulstufe abgeschlossen hat. Er lebt im ländlichen Äthiopien und hatte bis vor kurzem weder Jobaussichten noch Chancen auf ein eigenes Einkommen. Doch mittlerweile ist für Workene alles anders.
Boja, Getu und Workene sind stolze Mitglieder der Bienenkooperative Chaka Aba Jote in Jeldu
Bienen – Ein Weg aus der Armut
Workene ist Mitglied einer Bienenkooperative im Projektgebiet Jeldu. „Unsere Bienenkooperative hat derzeit 13 Mitglieder und letztes Jahr haben wir mit den Schulungen und Vorbereitungen begonnen. Viele von uns hatten schon Erfahrung mit der traditionellen Bienenhaltung. Dabei werden Körbe in Baumkronen gehängt und die Waben samt Honig zur Erntezeit herausgeschnitten“, erzählt Workene. „Das Arbeiten mit den modernen Bienenstöcken ist natürlich etwas ganz anderes und muss erst gelernt werden. Es ist aber weniger gefährlich und bringt wesentlich mehr Ertrag“, fügt er mit einem Lächeln hinzu und spielt darauf an, dass es zu vielen Unfällen beim Einholen der Körbe aus den hohen Baumwipfeln kommt. Nach wie vor arbeiten rund 95% der äthiopischen Imker auf traditionelle Weise mit Körben oder mit Übergangs-Bienenkästen. Diese bestehen aus einer „Holzkiste“, in der sich zwar bereits Rähmchen befinden, aber Brut- und Honigraum nicht getrennt sind. Moderne Bienenstöcke, wie sie auch in der Bienenkooperative verwendet werden, bestehen aus mehreren übereinander stapelbaren Zargen. Der Brutraum befindet sich immer in der untersten Zarge, der Honigraum in der obersten. Die Flexibilität des Systems gibt dem Imker die Möglichkeit, den Ertrag und das Verhalten des Bienenvolkes positiv zu beeinflussen.
Die Mitglieder der Bienenkooperative vor ihrem selbstgebauten Unterstand.
Die ertragreichen, modernen Bienenstöcke geben Workene und seinen jungen Kollegen Hoffnung auf ein Leben ohne Armut. „Wir haben jetzt die Chance bekommen, uns eine Existenz aufzubauen“, fasst er begeistert zusammen. Wie wichtig diese Chance für die jungen Menschen ist, zeigt sich an ihrer hohen Motivation. Schon bevor es mit den eigentlichen Schulungen und Arbeiten los ging, haben sie einiges an Vorarbeit geleistet: Gemeinsam haben sie einen Unterstand gebaut, damit die Bienenstöcke vor Regen und der glühenden Sonne geschützt sind. Der Unterstand steht mitten in einem Aufforstungsgebiet, das ca. 15 ha groß ist. 30.000 Bäume hat die Dorfbevölkerung gepflanzt, um die fortschreitende Erosion zu bekämpfen. Die Jugendlichen haben natürlich tatkräftig mitgeholfen, denn ihnen ist bewusst, dass sie und ihre Bienen von der umliegenden Natur abhängig sind.
Honig: Ein wertvolles Produkt
Honig ist in Äthiopien ein geschätztes Produkt mit einem guten Marktwert. Ein Tagelöhner muss bei einem Tagesverdienst von 40-50 Birr rund 3 Tage arbeiten, um ein Kilogramm Honig bezahlen zu können. Legt man das auf österreichische Verhältnisse um, würde man auf einen Kilopreis jenseits von 100 Euro kommen. Pro Bienenstock werden die jungen Imker rund 40-60 kg im Jahr ernten können. Im ersten Schritt bedeutet das ein Einkommen von 8.500 Birr im Jahr pro Stock. Dafür muss in Äthiopien ein Junglehrer ein Semester lang unterrichten. Im nächsten Schritt können die jungen Imker noch weiteres Einkommen durch das Bienenwachs, z.B. durch die Herstellung von Kerzen, oder den Verkauf von Bienenvölkern erzielen.
Aus Honig lassen sich viele verschieden Produkte herstellen. Zum Beispiel der Honigwein Met, Tej genannt, der in Äthiopien ein beliebtes Getränk und damit eine zusätzliche Einkommensquelle ist.
Ausbildung in Praxis und Theorie
Beim 5-tägigen Training, das Kassahun, ein erfahrener Imker und Lehrer aus der Region Dano hält, lernen die Jugendlichen alle Grundlagen der Imkerei. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Umsiedlung der Bienen aus den traditionellen Körben in die modernen Bienenstöcke gelegt. Aber auch die Honigernte und Wachsproduktion sowie das Herstellen von Mittelwänden sind fixer Bestandteil des Unterrichts. Die Biologie der Biene sowie der Einfluss auf das Ökosystem und die Bedeutung von Honigprodukten bilden die theoretische Grundlage der künftigen Arbeit. Kassahun hat als echter Experte immer eine Antwort auf die vielen Fragen der Jugendlichen. Er hat bereits Bienenkooperativen in Dano mit aufgebaut, die heute rund 60 jungen Menschen Jobs und damit eine Zukunftsperspektive geben. In der Kooperative reichen die Tätigkeitsfelder von der Honigproduktion und der Haltung und Züchtung der Bienen über die Produktion und Verarbeitung bis hin zu Vermarktung und Vertrieb. All das soll künftig auch in Jeldu passieren und so zahlreiche Arbeitsplätze schaffen. Die nötigen Gerätschaften, von Honigschleuder über Wachspresse, sind bereits im Gemeinschaftsbesitz der Kooperative und werden von Menschen für Menschen zur Verfügung gestellt.
Lehrer Kassahun erklärt den Jugendlichen beim praktischen Unterricht, wie sie Mittelwände für die Rähmchen selbst aus Wachs herstellen können.
Ato Getachew – Ein außergewöhnliches Vorbild
Workene und seine jungen Mitstreiter haben ihren Lehrer Kassahun auch schon in seiner Heimat Dano – ebenfalls ein Projektgebiet von Menschen für Menschen – besucht und damit sozusagen einen Blick in ihre eigene Zukunft geworfen. Bei dem Besuch haben sie eine unerwartete Inspiration gefunden: Ato Getachew. „Ato Getachew besitzt über 120 Bienenstöcke. Das ist an sich schon beeindruckend. Aber die Tatsache, dass Getachew, der als Kind von einem Baum gefallen ist, im Rollstuhl sitzt und es trotzdem geschafft hat, sich mit den Bienen eine Lebensgrundlage aufzubauen, ist einfach eine unglaubliche Leistung. Wenn jemand wie Getachew, mit einem so schweren Handicap, es schafft, dann muss uns das doch auch gelingen“, erzählt Workene tief beeindruckt von der Begegnung.
Getachew ist zwar auf seinen Rollstuhl angewiesen, dennoch versorgt er 120 Bienenvölker. Er ist das große Vorbild der Jungimker aus der Projektregion Jeldu.
Honigernte in Mondanzügen
Wie sehr sich das Engagement der Jungimker gelohnt hat, zeigte sich im November 2019: Die Bienenkooperative Jeldu konnte ihren ersten eigenen Honig ernten. Um die Jugendlichen an diesem besonderen Tag zu begleiten war neben Lehrer Kassahun auch Alexandra, Vorstand von Menschen für Menschen und selbst eine erfahrene Imkerin, vor Ort. Neben ihrem Imkeranzug hatte Alexandra auch Nelkenöl im Gepäck. Das bei uns sehr gängige Öl war bei den äthiopischen Imkern noch unbekannt und sorgte für große Freude, da die Bienen den Geruch nicht mögen, erleichtert es den Imkern die Arbeit. Die Ernte selbst war eine sehr aufwändige Aufgabe, denn der Bienenunterstand liegt in einem abgelegenen und schwer zugänglichen Terrain. Das konnte die Begeisterung der Jungimker allerdings nicht bremsen: „Die Jungs waren mächtig stolz auf den ersten Honig und der Austausch mit Kassahun war sehr bereichernd. Wir haben vereinbart uns mal zu einem längeren „Wissenstransfer“ zu treffen. Nebenbei gab es auch viel zu lachen. Vor allem als unser Projektleiter Gebeyehu einen Imkeranzug anprobierte und meinte: „Ich sehe aus wie der erste Äthiopier auf dem Mond.“ Für mich einer meiner Lieblingsmomente des letzten Jahres“, erzählt Alexandra begeistert.
Die Jungimker der Bienenkooperative Jeldu sind stolz auf ihre erste Honigernte. Die Kooperative ist eine von mehreren derartigen Projekten in den österreichischen Projektregionen.
Projektregion Abune Ginde Beret: In der der Bienenkooperative Kono haben bereits zehn zuvor arbeitslose Jugendliche einen Job, und damit eine Zukunftsperspektive, gefunden.
Projektregion Ginde Beret: Wo früher verdorrte Erde die Landschaft prägte, wachsen heute zahlreiche Bäume. Auch die Bienen der Bienenkooperative fühlen sich im Aufforstungsgebiet Harbe Guba wohl.
Die Bienenstände befinden sich meist in Aufforstungsgebieten, und finden breiten Anklang in der Bevölkerung. Die positiven Effekte für Mensch und Natur zeigen sich bereits nach kurzer Zeit. Es gibt bereits Nachfragen von Bauern, die ebenfalls Interesse an Bienenstöcken hätten. Und wenn sich erst herumgesprochen hat, dass Bienen durch ihre Bestäubungsleistung bei Obst und Gemüse eine Ertragssteigerung von 30-60 %* bewirken und sich das auch auf die Qualität auswirkt, werden die Jungimker künftig wohl einiges zu tun haben.
*QUELLE: BESTÄUBUNGSHANDBUCH ARBEITSGEMEINSCHAFT BIENENFORSCHUNG