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40 Jahre für die Bildung

Die Kinder kommen zurück

Erneute Schulschließungen hängen wie ein Damoklesschwert über den Köpfen besorgter Eltern in Österreich. Wie sollten sie erneut Arbeit, Erziehung und Heimunterricht unter einen Hut bringen? Und vor allem: Welche Folgen wird die ständige Isolation auf die Kinder haben?

Die Kinder kommen zurück

Auch in Äthiopien waren die Schulen lange Zeit geschlossen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Während sich Eltern und Kinder in Österreich mit neuen Lernmethoden und einem straffen Zeitmanagement herumschlagen mussten, lag die Bildung der Kinder und Jugendlichen in den entlegenen Regionen Äthiopiens schlichtweg brach. „Sie haben keine Möglichkeit Zuhause Neues zu lernen“, beklagten die betroffenen Eltern. Manche, wie Farmer Reta aus der Region Jeldu, sorgten sich besonders darum, dass die Kinder noch weiter zurückfallen würden: „Ich befürchte, dass sie das schon Gelernte wieder vergessen. Wir leben so abgeschieden, dass unsere Kinder keine Möglichkeit haben, sich außerhalb der Schule neues Wissen anzueignen.“

Zukunft in Gefahr

Rund ein dreiviertel Jahr waren die Schulen in Äthiopien geschlossen und SchülerInnen und LehrerInnen zum Nichtstun verdammt. Mit weitreichenden Folgen für die Kinder und auf lange Sicht sogar für ganze Regionen. So geht eine Studie davon aus, dass der Ausfall eines Schuljahres in Regionen wie Äthiopien zu einem späteren Zeitpunkt das Einkommen der Betroffenen massiv schrumpfen lässt. Gerade für Mädchen, kann die derzeitige Situation gravierende Folgen haben, wie Projektleiter Berhanu Bedassa berichtet: „Vor allem in den ländlichen Regionen hat die Pandemie dazu geführt, dass manch schädliche Tradition zurückkehrt. Die wirtschaftliche Notlage hat zur Folge, dass Mädchen viel zu jung verheiratet werden. Es ist auch zu befürchten, dass Eltern wieder dazu übergehen, im Zweifel nur ihren Söhnen eine Ausbildung zu ermöglichen.“

Aufatmen bei den Mädchen

Vor diesem Hintergrund war die Erleichterung noch verständlicher, als die Schulen Anfang des Jahres endlich wieder ihre Tore öffneten. So auch bei Kebebech aus Chobi: „So lange Zeit konnte ich nichts Neues lernen. Ich bin so froh, dass ich jetzt wieder zur Schule gehen kann“, atmet die 12-Jährige erleichtert auf. Kebebech hat aber noch einen weiteren Grund, voll Motivation wieder zur Schule zu gehen, denn in der Zwischenzeit wurde die neue Schule in Kabi Sirba fertiggestellt. Acht Klassenräume stehen den Kindern zur Verfügung, die nach bewährtem Menschen für Menschen-Prinzip gebaut wurden: angefangen vom Fundament aus Beton und Steinen über schützende Wände aus Hohlblockziegeln bis hin zum stabilen Dach aus Stahlblech, das Wind und Wetter Stand hält.
Neues gegen altes Klassenzimmer: Kein Vergleich für Kebebech, die sich freut, endlich wieder in die Schule gehen zu können – besonders in eine mit schönen, großen Fenstern.

Neues Schuljahr, neue Schule

„Hier sieht man doch sofort, was das Problem ist“, wirft Kebebech ein, als sie nochmals ihr altes Klassenzimmer besucht: „Das alte Gebäude hat weder richtige Fenster noch Türen und drinnen ist es viel zu finster, um richtig lernen zu können. Wir waren ständig dem Wind ausgesetzt und die Böden sind staubig und voller Ungeziefer. Außerdem saßen wir teilweise nur auf einfachen Baumstämmen, weil es nicht genug Platz für alle gab.“ Mittlerweile sieht die Lage schon ganz anders aus und Kebebech kann ihre Begeisterung für die neue Schule nicht verbergen: „Die neuen Klassenräume haben einen schönen zementierten Boden, eine Tafel, auf der man alles erkennen kann und schöne große Fenster.“

Hingucker Fenster

Die Fenster sind bei den Kindern und Jugendlichen, die bereits eine Menschen für Menschen-Schule besuchen, generell der große Star: Es handelt sich um sogenannte „Louvre-Fenster“, die aus einzelnen, kippbaren Lamellen bestehen. So lassen sie nicht nur viel Licht und Luft in die Klassenräume, sie ragen auch nicht in den Raum hinein, wodurch sich ein Kind leicht verletzen könnte. Die einzelnen Lamellen können außerdem leicht getauscht werden – denn wo Kinder lernen und leben, geht schon mal etwas zu Bruch.
Projektleiter Berhanu Bedassa und Direktor Asefa Fufa kurz nach der Fertigstellung der neuen Schule von Kabi Sirba. Auf dem Schulgelände werden noch Bäume gepflanzt – eines der wichtigen Projekte von Schulclubs.
Die Kabi Sirba-Schule wurde noch vor dem eigentlichen Beginn der Projektarbeit in der jüngsten Projektregion Chobi errichtet. „Der Bedarf in der Region ist sehr hoch“, erläutert Berhanu Bedassa, der Anfang 2021 die Leitung der Arbeit in Chobi übernahm. „Der Großteil der Schulen hier ist in einem ähnlichen Zustand wie die alte Schule von Kabi Sirba. Einfache Hütten aus Holz und Lehm, denen jede Regenzeit stark zusetzt. In den Wänden klaffen oft riesige Löcher und die Kinder sind dem Wind und dem Staub ausgesetzt. Das ist keine gute Lernumgebung. Eigentlich ist es für niemanden eine gute Umgebung.“

Über das Einmaleins hinaus

Gut ausgestattete Schulen bieten den Kindern aber noch viel mehr als bloß einen Ort zum Lernen. Sie sind auch Plätze der Aufklärung. So unterstützt Menschen für Menschen beispielsweise Schulclubs, in denen sich die Schülerinnen und Schüler mit Themen wie Umweltschutz und Aufforstung beschäftigen. Auch SchülerInnen-Clubs zu heiklen Themen wie Frühverheiratung oder Genitalverstümmelung finden in Schulen ihren Platz. Die Jugendlichen tragen ihr Wissen in ihre Familien weiter und werden so zu BotschafterInnen der Aufklärung. „Ganz wichtig ist auch die Aufklärung rund um die Menstruation, um die Mädchen zu unterstützen“, erklärt Projektleiter Berhanu. Ein nicht unwichtiges Detail im Schulbau sind deshalb auch die örtlich getrennten Latrinenhäuschen für Mädchen und Burschen: „Im Zweifel des Falles würden die Mädchen sonst nicht zur Schule kommen.“
Mehr als das Einmaleins: Die Schule von Kabi Sirba wurde Ende 2020 fertiggestellt und bietet einen sauberen, hellen und luftigen Raum zum Lernen und zur persönlichen Entfaltung.

Bildung als Verhütung

Gerade für sie ist Aufklärung und Bildung so wichtig, um selbstständig in die Zukunft zu gehen. Rein statistisch gesehen werden Mädchen wie Kebebech rund acht Jahre zur Schule gehen – und damit gut dreimal länger als Frauen, die in den 1990ern geboren wurden. Eine wichtige Entwicklung, die freilich noch ausbaufähig ist. Denn eine Grundschulbildung erhöht die Chance auf eine weitere Ausbildung und damit auf ein unabhängiges Einkommen. Hinzu kommt, dass – wie in vielen Ländern dieser Erde – Frauen mit höherer Bildung auch weniger Kinder bekommen.

Dieses Beispiel zeigt wieder einmal auf, wie stark alle Aspekte des Lebens miteinander verbunden sind: Je höher die Bildung, desto geringer die Geburtenrate. Je weniger Kinder eine Familie hat, desto eher kann sie diese ausreichend ernähren. Und wer ausreichend und ausgewogen zu essen hat, kann sich aktiv an der Entwicklung seiner Gemeinde beteiligen. Um all das zu erreichen, müssen aber erst Grundlagen geschaffen werden – so auch in der jüngsten Projektregion Chobi.

Fundamente schaffen

Ein gutes Fundament hat Menschen für Menschen gemeinsam mit der Bevölkerung in der Nachbarregion Abune Ginde Beret errichtet, das die langfristige Entwicklung der Region sicherstellen soll. In den ersten neun Projektjahren wurden hier unter anderem 123 Brunnen und Quellfassungen gebaut, über 12.000 holzsparende Öfen ausgegeben und 17 Schulen errichtet. Eine weitere neue Schule entsteht aktuell in der Gemeinde Debeka, wo Projektleiter Berhanu einen besonders gesprächigen Schüler mit einem bezeichnenden Namen trifft, der ihn durch die alten Gebäude führt: Doktore – ein Name, in dem sich der Wunsch der Eltern widerspiegelt, dass ihre Kinder eine bessere Zukunft haben sollen.
Der 13-jährige Doktore in seinem derzeitigen Klassenzimmer in Debeka: Die Wände sind löchrig, der Boden lediglich lose Erde.
Auch Doktore beklagt sich über den schlechten Zustand seiner Schule: „Vor allem die Luft ist so stickig und staubig. Unsere Augen sind deshalb oft entzündet. Im Boden verstecken sich auch Flöhe, die sich unter unsere Haut bohren.“ Damit die Schule nicht krank macht, werden in Debeka derzeit acht Klassenzimmer errichtet sowie ein Raum für LehrerInnen und Verwaltung und natürlich die Latrinenhäuschen. „Ich habe mir die neu gebaute Schule in unserer Nachbargemeinde angesehen“, berichtet der 13-Jährige. „Dort gibt es schöne, große Fenster und der Boden ist nicht staubig, sondern aus Zement. Das wünsche ich mir hier auch.“ Bis die neue Schule fertiggestellt ist, wird es noch etwas dauern, doch derzeit ist Doktore einfach nur froh überhaupt zur Schule gehen zu können: „Während die Schulen geschlossen waren, konnten wir nichts lernen. Wir mussten alle daheimbleiben, das hat mir gar nicht gefallen.“ Doch langsam sollte auch für die Kinder in Äthiopien wieder so etwas wie Normalität einkehren. Und Doktore und Kebebech werden nicht die einzigen Kinder sein, die voller Freude in die Klassenzimmer zurückkehren werden.

470  Schulen hat Menschen für Menschen seit der Gründung im Jahr 1981 in den entlegensten Regionen Äthiopiens errichtet und damit einen Raum des Lernens und der Entfaltung für abertausende Kinder und Jugendliche geschaffen.

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Zuversicht wächst

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