Die bösen Geister vertreiben
Pionierarbeit im Balla-Tal
„Mein Vater beschäftigte früher einen Ziegenhirten, Muhe, der eines Tages eine Stimme hinter sich hörte: ‚Muhe, nimm diese Sichel!‘ Doch als er sich umdrehte, war niemand da. Kurz darauf wurde er schwer krank und starb.“ Ehrfürchtig erzählt Bauer Asan die Geschichte des Mannes, der dem vermeintlich „bösen Geist“ des Balla-Tals zum Opfer fiel.
Mehr als nur Aberglaube
Auch sein Kollege Muhammed kennt diese Sagen, die sich um die unwirtliche Tiefebene in Derra ranken. „Früher hieß es, dass man taub oder verrückt wird, wenn man auch nur eine Nacht hier verbringt.“ Der böse Geist des Balla-Tals ist aber tatsächlich weit mehr als nur Aberglaube. Die Gegend wurde vor allem wegen der Malaria-Gefahr gemieden. „Dieser Teufel wurde mit dem Malarianetz gefesselt“, triumphiert Sharifu, ein weiterer Siedler des Balla-Tals, dessen Familie heute zu den erfolgreichsten Bauern der Region gehört.
„Der Teufel des Balla-Tals wurde mit dem Malarianetz gefesselt“, sagt Sharifu, hier vor einem der Steinhäuser, die vor über 20 Jahren für die PionierInnen errichtet wurden.
Der Traum einer Siedlung
Der Ursprung der Siedlung geht auf eine beherzte Idee Karlheinz Böhms zurück, die vor über 20 Jahren gemeinsam mit einigen mutigen PionierInnen umgesetzt wurde. Im Balla-Tal, einer auf den ersten Blick trockenen, trostlosen Gegend im noch jungen Projektgebiet Derra, sollte mithilfe von Bewässerungskanälen der Anbau von Obst und Gemüse ermöglicht werden. Um in der Region Bauern zu finden, die sich dieses Projekt zutrauen, wurden Steinhäuser für die Familien in der Nähe errichtet. Zunächst siedelten sich zwölf Familien in der kargen Gegend an, wo die Sonne unerbittlich vom Himmel brennt.
Shafi war einer der ersten, die Karlheinz Böhms Idee vor über 20 Jahren gefolgt sind, um im Balla-Tal ein Bewässerungssystem anzulegen.
Ein Gemeinschaftsprojekt
Einer der Ersten war Shafi – heute Vorsitzender des Gemeinschaftsprojekts, das sich im Laufe der Jahre zum großen Erfolg entwickelte. Bei unserem Besuch hält Shafi mit anderen Mitgliedern des Projekts ein kurzes Treffen ab, um Allfälliges zu besprechen: Wie hoch sollte der Beitrag jedes Mitglieds sein, womit unter anderem der Wächter bezahlt wird? Wer kümmert sich wann um die Reinigung des Bewässerungskanals oder um die Wartung der Zufahrtsstraße?
Weder taub noch verrückt, sondern reich
Etwa 50 Familien leben heute im Balla-Tal und erwirtschaften mit dem Anbau von Papayas, Mangos, Kohl, Kaffee, Tomaten und vielem mehr ein gutes Einkommen. Auch Muhammed traute sich irgendwann ins Balla-Tal, um sein Glück zu finden: „Als ich die erste Nacht hier verbrachte, fürchtete ich mich so sehr, dass ich die Kerze brennen ließ. Aber statt taub oder verrückt wurde ich in Balla reich.“
Die Äste der viele Meter hohen Mangobäume Muhammeds biegen sich unter der Last ihrer Früchte.
Äthiopien – Saudi-Arabien und retour
Muhammed gehört mittlerweile zu den alten Siedlern des Balla-Tals, doch auch bei ihm brauchte es zunächst etwas Überzeugungsarbeit. „Früher habe ich nur Teff und Sorghum angebaut. Jedes Jahr musste ich mir von Verwandten zusätzlich Getreide ausleihen, weil ich meine Kinder nicht versorgen konnte.“ Muhammed verließ schließlich Äthiopien, um in Saudi-Arabien sein Glück zu suchen. Doch außer viel harter Arbeit zu einem zu geringen Lohn fand er dort nichts vor.
Kein Blick zurück
Zehn Jahre ist dieses Kapitel in Muhammeds Leben nun schon her und er vermisst kein Stück davon: „Als ich wieder nachhause kam, hatte ich kaum Geld. Aber ich habe mich angestrengt und hart gearbeitet, um hier eine Grundlage für meine Familie zu schaffen.“ Das Stück Land im Gemeinschaftsprojekt im Balla-Tal wirft heute so viel Ertrag ab, dass Muhammed bis zu 50.000 Birr (rund 2.000 Euro im April 2017 zum Zeitpunkt des Gesprächs) im Jahr allein mit dem Verkauf von Obst, Gemüse und Kaffee verdient. Das entspricht fast schon dem höchsten Einkommen eines erfahrenen Lehrers in Äthiopien.
Berhanu Bedassa, heute Projektleiter in Abune Ginde Beret und Ginde Beret, war früher in Derra tätig und hat die Erfolgsgeschichte des Balla-Tals begleitet.
Anlegen für die Zukunft
Doch auf die Ernte allein verlässt sich Muhammed nicht. Um auch abseits seiner erfolgreichen Landwirtschaft ein Einkommen zu erhalten, hat er in Gundo Meskel, der Hauptstadt von Derra, ein kleines Haus errichtet. Zwei weitere werden in der nächsten Zeit unweit seines Heimatdorfes folgen. Mit der Vermietung der Zimmer wird er voraussichtlich 1.000 Birr im Monat verdienen. Und noch ein weiteres Investment schwebt dem fleißigen Mann vor: „Ich möchte mir einen Lieferwagen zulegen, den mein Sohn fahren sollte. Er könnte dann Lieferaufträge übernehmen – von den Bauern im Balla-Tal, aber auch von anderen.“ So wird der Erfolg, den Mangos und Papayas brachten, an die nächste Generation weitergegeben.
Die nächste Generation steht schon bereit. Die Kinder des Balla-Tals freuen sich nicht nur über süße Mangos, sondern dank des besseren Einkommens auch über eine bessere Zukunft.
Am Ende das Paradies
Muhammed ist nicht der Einzige, der mithilfe des Bewässerungsprojekts in Balla eine Zukunft für seine Familie aufbauen konnte und die Entwicklung der Region mit seinem Erfolg vorantreibt. Viele der Bauern hier, die sich früher oft als Tagelöhner verdingen mussten, beschäftigen heute selbst Menschen aus der Region und treiben die Entwicklung ihres Bezirks voran. „Früher wollte hier im Tal niemand leben“, erinnert sich Shafi. „Die Gegend hatte einen schlechten Ruf und Malaria war ein großes Problem. Aber wir haben das Risiko auf uns genommen und ein kleines Paradies geschaffen.“
Vom Tagelöhner zum Saftproduzenten
„Ich fühle mich wie neugeboren“, lacht Shafi bei die Frage nach seinem Alter. „Früher waren wir sehr arm. Wir hatten keine ordentlichen Kleider, keine Schuhe – auch nicht für die Kinder. Aktuell planen wir, unsere Früchte gleich hier in der Region weiter zu verarbeiten. Zum Beispiel könnten wir Mangosaft produzieren und in die großen Städte liefern.“
Die Früchte aus dem Balla-Tal sind am Markt heiß begehrt. Für den Transport dorthin möchte sich die Gemeinschaft einen Wagen zulegen.
Keine bösen Geister mehr
Shafi schloss sich als einer der Ersten dem Vorhaben von Menschen für Menschen an, hier im Balla-Tal das scheinbar Unmögliche zu schaffen und trug damals stark dazu bei, dass sich andere daran beteiligten. Heute lebt er glücklich mit seiner Frau in Balla, das kleine Dorf, das sich erst durch das Bewässerungsprojekt hier etabliert hat. Die Menschen sind stolz auf das, was sie hier im Tal erschaffen haben: Ein kleines Paradies in einer unwirtlichen Gegend. Frei von bösen Geistern und Armut.